Falsche Fährten

Falsche Fährten
von Dr. Stephan Trescher
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Tatsächlich ist die Kunst von Karin Kopka-Musch eine, die ihre eigenen Entstehungs-
und Präsentationsbedingungen reflektiert und diese Reflexionen direkt wieder in ein
Kunstwerk überführt. Erstaunlicherweise macht die Künstlerin aber aus diesem
Zirkelschluß keine öde Gedankenturnübung, bei der der Ausstellungsbesucher
mehrere Meter Aktenordner durcharbeiten, oder gegen Vorlage eines
Soziologiehauptseminarscheins ein Balken-Diagramm betrachten darf.
Nein, Karin Kopka-Muschs Kunst kommt farbenfroh und sinnlich daher und ist doch höchst
rational strukturiert.
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Wie das geht, zeigt die Künstlerin an fünf gezielt platzierten Bildern.
Am offenkundigsten wohl mit der Arbeit im vorderen Foyer an der Wand zum
Schaufenster hin:
Insgesamt ein mindestens neunteiliges Werk. Und wer weiß, wieviele es noch werden.
Denn handelt es sich hier nicht um ein work in progress? Oder gar um
Umbauarbeiten, die fortwährende Neudekoration des Schaufensters? Plastikplane und Malerpappe, beide mit Tapes am Boden fixiert, lassen solches vermuten.
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Nach dem Blick auf die Arbeit im vorderen Foyer sehen wir das großformatige Leinwandbild gleich mit ganz anderen Augen. Die collagenartig nebeneinandergesetzten Bildteile finden sich hier als rein malerische Vielschichtigkeit allesamt auf einer Bildoberfläche. Dennoch könnte man sich zu der Frage gedrängt fühlen: Wo fängt das Gemälde an, wo hört es auf? Bin ich ein Bild – und wenn ja, wie viele?
Damit kommt man der Wahrheit schon recht nahe. Wie wir hier wunderbar sehen können: Ein ehemaliges Gemälde ist aus dem Gemälde verschwunden. Die Spuren aber bleiben, dünne vertikale Striche, in vielen Farben schillernd. Das bedeutet: Von der einst vorhandenen massiven Farbfläche sind nur noch die Ränder zwischen den Tapes übrig, mit denen die Leinwand vorher abgeklebt war – flächendeckend, aber doch nicht ganz lückenlos, sondern mit vorsätzlich freigelassenen schmalen Ritzen.
Man könnte das ursprüngliche Bild im Bild vielleicht sogar rekonstruieren. Das braucht man aber nicht, um zu erkennen, wie aufwendig der Prozess ist, der zum fertigen Bild führt. Denn jede Schicht, so zart sie auch letztlich in Erscheinung tritt, ist ein eigener Arbeitsgang, der mitunter viel massiver ausgefallen war, als man es jetzt sehen kann.
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Da gibt es so viel zu entdecken! Die streng konstruktive Komponente der vertikalen Tape-Bahnen, den Wechsel von gesprühter und gepinselter Farbe, von aquarellartig zarten Farbwolken und Partien dichter, deckender Farbe, die spröden Spuren eines fast trockenen Pinsels, Ballungen heftiger, starkfarbiger Pinselhiebe und immer wieder das Hervorbrechen der weißen oder gar ungrundierten Leinwand. Man sieht das graffitiähnlich Skripturale mancher Sprühspuren, die geisterhaftte Aureole, die der weiße Dosenfarbnebel auf schwarzem Grund erzeugt und wir können in Farben schwelgen von Pastell bis Neongrell.
Spannend sind dabei immer die Ränder, die Zonen des Übergangs, die Grenzen. Und wie sie sich verschieben und auflösen. Ist das nicht überhaupt eine Malerei an der Grenze des Sich-Auflösens und Verschwindens – oder doch eine im Werden begriffene?
Was uns hier Halt gibt, ist der architektonische Rahmen, der Ortsbezug. Denn die Künstlerin ist immer darauf aus, spontan zu reagieren, oft genug in performativer Art und Weise, live und in Farbe, oder aber, etwas planvoller, auf den Ausstellungsraum. Sie tut das auch ganz dezidiert hier im cuba. Die direkten bildlichen Bezüge reichen vom Aufnehmen der fiesen türkisen Fensterrahmenfarbe als Rahmen in gleich zwei Gemälden, einmal ergänzt um ein Altrosa als Echo der roten Eingangstür, über den bildlichen Widerpart zur schwarzen Tür der Black Box in der weißen Wand, hin zur raffiniert angebrachten blauen Schein-Fußleiste im großen Gemälde dort, die die real
existierende Fußleiste nahtlos fortsetzt. Das heißt: obwohl es kein Wandgemälde ist, weder al fresco noch al secco, noch nicht einmal an der Wand hängt, sondern nur vor ihr steht, kann es eigentlich nur hier hingehören. Ist also dieses Bild aus seinem Entstehungszusammenhang herauszulösen? Kann man es überhaupt ins Museum oder ins heimische Wohnzimmer hängen? Ändert dann der blaue Streifen seinen Charakter? Und darf der überhaupt über der Erde schweben oder muß er bodenständig bleiben?
Das sind Fragen!
Um es mal etwas schlichter mit Herbert G. zu formulieren: Wann ist ein Bild ein Bild?Und wann ist es fertig? Das Bild bei Karin Kopka-Musch ist stets ein Prozess, nun aber nicht im juristischen Sinne gemeint, sondern als andauernde Tätigkeit, als ein tendenziell un-abschließbarer Vorgang. Ein Fall, der nie erledigt ist. Die Aktendeckel bleiben weit offen – und laden ein zu neuen malerischenTaten. So oder so.

Auszüge aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Karin Kopka-Musch: soundso im cuba-cultur-Foyer, Münster, am 28. September 2012