Der Atelierkünstler, der in sich geht, um aus seiner eigenen freien Kreativität Neues zu schöpfen und die Erzeugnisse zur Ausstellung weitergibt – ein Bild, das nicht nur antiquiert, sondern zum Verständnis der künstlerischen Praxis von Johanna Schwarz und Karin Kopka-Musch gänzlich unangebracht ist. Traditionelle Begriffe wie Malerei, Skulptur, Präsentation und Werk haben sich stark gewandelt und kommen in ihrer zeitgenössischen Bestimmung in der Ausstellung im Kunstverein Viernheim zum Ausdruck. Künstlerische Praktiken lassen sich nicht mehr einfach bestimmten Gattungen zuordnen, sie entgrenzen sie vielmehr oder sind in einem Dazwischen zu verorten. Die Schöpfung eines ingeniösen Künstlers ist den vielschichtigen Formen der Aneignung und Neuinterpretation unserer zeitgenössischen Kultur und ihren Traditionslinien gewichen. Kopka-Musch und Schwarz greifen diesen Wandel des Kunstverständnisses des 20. Jahrhunderts auf, lassen sich ihm aber nicht mehr schlicht unterordnen. Die Infragestellung traditioneller Kategorien ist vielmehr ein gegebener Ausgangspunkt, vor dem aus sie je unterschiedliche Strategien entwickeln, um das Spiel der Überschreitungen, Vernetzungen und Erweiterungen in der Kunst auf individuelle Weise zu nutzen.
Anhand der Aneignung und Entgrenzung zeichnen sich in der gemeinsamen Ausstellung eine Bewegung ins Werk und eine Bewegung aus dem Werk heraus ab. Karin Kopka-Musch geht von der klassischen Tafelbildmalerei aus, verlässt aber immer wieder die Leinwand, um ihre Arbeiten im Farbklang und Formvokabular miteinander zu vernetzen, sich gegenseitig zitieren zu lassen. Im Ausstellungskontext arbeitet sie situativ und lässt aus den Leinwänden eine Wandarbeit entstehen, die auf die Eigenarten des Raumes Bezug nimmt und ein temporäres System von formalen Referenzen bildet. Auch Johanna Schwarz überschreitet den klassischen Gattungsbegriff, indem sie ihre Skulpturen nicht erst im Ausstellungskontext mit der Präsentationsform zusammendenkt. Ihre Werke sind oftmals nur als Einheit aus Figur und Sockel zu verstehen. Sockel, die im Ausstellungskontext hinzukommen, werden in einer installativen Anordnung zu einem individuellen Display für Skulpturen und damit auch temporär Teil des künstlerischen Werkes. Die entscheidende Bewegung im Werk von Schwarz ist allerdings jene ins Werk hinein: Indem sie sich Themen über Literatur oder andere Künstlerpositionen aneignet, nimmt sie zahlreiche Impulse ins Werk auf, um von ihnen ausgehend weiterzuarbeiten.
Was hinter diesen künstlerischen Strategien steckt ist kein monolithischer Stand- oder Ausgangspunkt jeder Form- und Erkenntnissuche, sondern ein Netzwerk, das Übergänge, Andersheit und Vielheit zulässt, assoziative Verkettungen ermöglicht, ohne dabei aber gänzlich frei und vor allem beliebig zu sein. Dieser Zugang ist zutiefst zeitgenössisch und gewinnt in der Ausstellung der beiden Künstlerinnen, in ihrer Begegnung, einen eigenen und spannungsvollen Ausdruck.
Karin Kopka-Muschs Kunst kann mithilfe der Unterscheidung zwischen ihrer künstlerischen Praxis und dem künstlerischen Medium genauer beschrieben werden. Einerseits geht es um das Medium der Malerei, das sie in den Grenzen überschreitet und selbst befragt, spielerisch und reflexiv offenlegt, andererseits um das Malen als Tätigkeit, die nicht mehr nur an die Leinwand gebunden ist, sondern sich aller Art Bildgründe oder auch ganze Räume zum Gegenstand einer künstlerischen Wahrnehmung und Umformung machen kann. In dieser Tätigkeit befragt sie die Bedingungen ihrer eigenen Kreativität und die Rolle der bewussten Steuerung und des intuitiven Flusses. Zwar arbeitet sie immer wieder auch sehr frei, doch ist ihr Vorgehen grundsätzlich sehr konzeptuell und systematisch. Ihre Malerei geht einmal aus einem Liniensystem, ein anderes mal aus einer Art Nabel hervor und breitet sich dann über Wände, den Raum und vor allem über die Ränder der Leinwand hinaus aus. Sie greift auf verschiedene malerische Techniken zurück wie etwa Klebeband und Schablonenmaterial, dessen Spuren sie bewusst sichtbar stehen lässt oder aber nachahmt.
„Verzahnt. Malerei: Enttarnt.“ So schrieb sie zu einer Wandarbeit in einer Ausstellung im vergangenen Jahr. Für Kopka-Musch steht die ästhetische Praxis nicht der Sprache gegenüber. Die zitierte Wendung ist bezeichnend für ihren auch ästhetischen weil poetischen Gebrauch der Sprache, mit dem sie ihr Schaffen vermittelt und tastend weiterführt. Verzahnt werden ihre Arbeiten durch ihre vernetzende Tätigkeit des Malens. Enttarnt wird die Malerei als künstlerische Gattung, als Bewältigung einer Oberfläche im Rahmen des Leinwandformats. Neben ihrer poetischen Sprache über ihre künstlerische Arbeit ist das Verständnis ihrer Malerei durch die Sprache entscheidend. Bilder sind ihr Seme: Sie sind wie kleine sprachliche Einheiten. Dann kommen Wörter, Sätze, eine Setzung und schließlich die gesamte Syntax, die von Raum zu Raum je unterschiedlich funktioniert. Bilder können den Titel wechseln – wie Begriffe ihren Referenten. Orte wirken wie neue Kontexte auf Bilder ein und haben daher auch die Macht, die Namengebung neu zu verhandeln. Am Leitfaden der Sprache als System kann ihre malerische Praxis als expressive und zugleich konzeptuelle Formsprache verstanden werden. Hierdurch blendet sie die sinnliche Eigenart der Malerei nicht aus, sondern lenkt im Vergleich die Aufmerksamkeit auf die genuine Syntax ihres künstlerischen Schaffens.
Im Erdgeschoss der Ausstellungsräume des Kunstverein Viernheims realisierte Kopka-Musch eine raumgreifende Wandarbeit, in die sie bestehende Leinwandarbeiten einfügte, um deren Formen wiederum auf der Wand zu zitieren. Die Skulpturen von Johanna Schwarz plante sie dabei zwar nicht ein, reagierte aber bereits auf ihre Farbpalette. Schwarz platzierte schließlich ihre Skulpturen im Raum, um sie mit der Malerei Kopka-Muschs in den Dialog treten zulassen. In die Wandarbeit fügte sie eine kleine Maske ein. Den nach unten geneigten Mädchenkopf kolorierte sie, malte das Haar goldblond und überzog das Gesicht mit einem kontrastreichen Geflecht aus geometrischen Formen. Diese abstrakte Gestaltung lässt die Maske mit der Wandarbeit Kopka-Muschs und ihren rhythmischen Farb- und Formkorrespondenzen verschwimmen. Die figürliche Konkretion bildet hingegen einen starken Kontrapunkt. Derartige formale Überschneidungen und inhaltliche Disparitäten wiederholen sich in der Ausstellung. Sie charakterisieren die Begegnung der Künstlerinnen als aufgesuchte Zusammenarbeit, die sich ihrer Anknüpfungspunkte aber auch ihrer Spannungen und Andersheiten bewusst ist.
Johanna Schwarz bezog Arbeiten aus drei verschiedenen Werkgruppen in die Ausstellung im Kunstverein Viernheim mit ein. Den Gegenpol zur großen Wandarbeit Kopka-Muschs bildet der als kleines Kabinett gestaltete Nebenraum im Obergeschoss. In dieser durch ein sich leicht im Luftzug bewegendes Goldtuch verhängte, intime Ausstellungsraum versammelt Arbeiten der Serie Schwarz. Ihren Ausgangspunkt nahm sie in einer Schrift George Steiners zum Begriff der Melancholie bei Schiller. Die Melancholie ist zentrales Moment des künstlerischen Schaffens von Johanna Schwarz, wird in ihren Arbeiten aber immer durch die Ironie gebrochen. Steiners Ausführungen über die Grenzen des – vornehmlich sprachlichen – Denkens und der aus ihnen hervorgehende Schwermut wird in den Skulpturen durch ein ästhetisches Denken erweitert. Die Farbe Schwarz, die sich im Titel auch als Selbstironie der Künstlerin äußert, kommt vor allem auch durch ihre symbolische Bedeutung zum tragen, die sich in der Serie Im Westen wiederholt. Ausgehend von den Passstücken des Künstlers Franz West, hat Schwarz Figuren mit prothesenhaften Erweiterungen aus schwarzen, amorphen Formen ergänzt. Sie stellen eine Art Abstraktion dar, die allerdings nicht geometrisch verfährt sondern auf ein rein Abstraktes im Sinne eines Unbestimmten verweist. In diesen beiden Serien wie auch der Jüngsten mit dem Namen Gold bewegt sich die Künstlerin von einem konkreten Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung in einer assoziierenden und abstrahierenden Bewegung immer weiter weg. Ihre Skulpturen sind oftmals umgearbeitete Fundstück, Holzfiguren von kleinen Mädchen oder auch Dekotiere und ein Kunstkopf, die sich zwischen Nostalgie und Kitsch bewegen.
Ihre künstlerische Praxis nahm den Ausgang in der Installation und im Raum. Dieser Zugang wird auch in ihren Skulpturen und deren Ausstellung deutlich, denn sie sind stets in Verbindung mit ihrem Kontext zu verstehen. Im Obergeschoss des Kunstvereins Viernheim gestaltete sie durch eine Ansammlung von Sockeln einen schmalen Gang und ergänzte einige ihrer Figuren wie auch einen Spiegel. Zugang, Wahrnehmung und damit die Betrachterposition sind durch Blickachsen und körperliche Bezüge in der installativen Praxis miteinbezogen. Diese Art der Kontextualisierung erzeugt sie aber auch auf Werkebene, wenn sie etwa eine Figur mit einer Stütze auf einem Hocker ausbalanciert, den Gebrauchsgegenstand als Sockel umfunktioniert und zum wesentlichen Teil der Skulptur werden lässt.
In einem derartigen Schaffen von Relationen, zwischen Bild und Raum, Skulptur und Sockel, treffen sich die beiden Künstlerinnen. Die Selbstverortung stellt dabei ein zentrales Moment dar. Sie findet sich bei Johanna Schwarz in der Bewegung zwischen Melancholie und Ironie und bei Karin Kopka-Musch im Ausloten von kreativer Intuition und konzeptueller Systematik. Da ist kein beruhigendes Da – so der Ausstellungstitel, der die Besucherin oder den Besucher in ein sich über Räume entfaltendes Netzwerk aus verschiedenen künstlerischen Formsprachen einlädt. Seine poetische Verfasstheit verlangt nach Interpretation. Das Beunruhigende der Standortbestimmung kann einerseits in unserer postmodernen Kondition und andererseits in der Charakteristik der künstlerischen Praxis der beiden Künstlerinnen gesehen werden, die unserer doch sehr abstrakten zeitgenössischen Befindlichkeit eine konkrete Form gibt.
Offenheit / Unabgeschlossenheit – Die Arbeiten von Johanna Schwarz und Karin Kopka-Musch müssen aus ihrem Ausstellungskontext und der installativen Präsentation heraus verstanden und je neuinterpretiert werden.
Prozesshaftigkeit / Kontingenz – Finale Ist-Zustände weichen möglichen Umschreibungen. Werke verhalten sich Verschiebungen gegenüber offen und wandeln sich je nach räumlichen Kontexten. Sie können ihre Namen ändern, sich gegenseitig zitieren. Sie können eine inhaltliche Auseinandersetzung aufnehmen, abstrahieren und wieder hinter lassen.
Immanenz / Performanz – Es ist keine Distanzleistung mehr möglich. Man kann sich die Dinge nicht mehr zum Objekt machen und sie mit Abstand rein rational bestimmen. Sie müssen erfahren und erlebt werden. Der Betrachterstandpunkt lässt sich nicht mehr nur vor dem Werk bestimmen, sondern ist in inmitten einer Umgebung aus raumgreifender Kunst, die erkundet und durchlebt werden soll.
Heterogenität / Pluralität – Widersprüche müssen zugelassen und ausgehalten werden. Eine ursprüngliche Einheit oder ein zu erstrebendes Ganzes müssen aufgegebenen werden. Hierin liegt aber keine Ohnmacht, sondern eine spielerische Verortung. Intuition und Ironie.
So kann der Unruhe in der Standortbestimmung entgegen gewirkt werden. Das beunruhigende Da birgt ein Potential, dessen sich die beiden Künstlerinnen angenommen haben. Als Besucher müssen wir uns selbst die Frage stellen: Was wäre uns denn ein immer nur beruhigendes Da?
Till Julian Huss