Fritz Stier, Kunstverein Viernheim, 2019.
Gelbe Pinselstriche überschwemmen den Bildrand, besudeln die umgebende Wand, bilden einen neuen, hingeschludert erscheinenden, malerischen Rahmen. Gleich daneben eine schräg zerteilte Leinwand, die sich in einer Ecke des Raums wieder zusammenfügt. Zu sehen einzig undefinierbare blaue Kringel. Und auch hier entgrenzen wieder Liniaturen die Form. Fehler? Dilettantismus? Oder gar Vandalismus? Der verstörte Blick sucht nach Gewohntem, nach dem, wie es sich gehört. Eine große, rechtwinklige Fläche, in Rosa akkurat auf die Wand gemalt, gibt für einen Moment Halt. Wenige Meter davor ein schlanker, klassisch weißer Galeriensockel mit einem Perückenkopf, farbig bemalt, beschmiert … oder doch eher geschändet? Und dann endlich! Lässig an die Wand gelehnt, ein gewohntes Gemälde. Tatsächlich! Es könnte eine Brücke darstellen, die in den Himmel führt. Vielleicht ein Hinweis?
Es sind Karin Kopka-Musch und Johanna Schwarz, eine Malerin und eine Bildhauerin, die uns in diese fremde und verstörende Welt führen und eine normale Rezeption zu verunmöglichen scheinen. Zwei befreundete Künstlerinnen, die hier in den Räumen des Kunstverein Viernheim ihre Rätsel und Irritationen präsentieren. Was ist hier los? Und um was geht es eigentlich?
Bisher wurden Theorie und Praxis von Malerei und Skulptur durch eine Reihe eng verwandter Antagonismen organisiert, zusammengehalten und vorangetrieben: Farbe und Form, Komposition und Materialität, Flachheit und Raumbezug, Virtuosität und Handwerk usw.
Offensichtlich scheinen die beiden Künstlerinnen jedoch die einst unangefochtenen, strukturgebenden Paradigmen bei Seite geschoben bzw. ganz aufgegeben zu haben. Mutig und couragiert tendieren die Künstlerinnen dazu, die bisher als tradiert bezeichneten Medien in neue malerische und skulpturale Inkarnationen zu überführen. Die Präsentation der verschiedenen Exponate scheint alles auf den Kopf zu stellen. Nichts ist gereiht, nichts geordnet, sondern alles scheinbar willkürlich in den Raum installiert. Was wir letztendlich sehen, ist ein sehr persönlicher Gegenentwurf wider jegliche Ausstellungskonvention.
Aber gerade dadurch entstehen wunderbare, faszinierende Rauminszenierungen, die die Suche nach Bedeutungsmustern überflüssig machen. Bemerkenswert ist dabei, wie sich die unterschiedlichen Medien zueinander verhalten, sich dabei neu entwerfen oder gar das andere Medium quasi remodellieren. Wer sich vorurteilsfrei darauf einlassen kann, wandelt durch einen Kosmos voller Skurrilitäten, Merkwürdigkeiten und Überraschungen. Hier geht es nicht um Antworten, sondern im besten Sinn um Fragestellungen … letztendlich auch um radikale Infragestellungen. Gerade herkömmliche Erwartungshaltungen werden hier mit Verve unterlaufen und damit neue und verblüffende Gedankenverknüpfungen provoziert.
Kann Kunst nicht auch spontaner Ausdruck einer inneren Haltung zum Dasein und Leben sein? Vielleicht sogar eines der Mittel, um in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt zu überleben? Ganz im Gegensatz zu den bedeutungsschwangeren Ewigkeitswerten, denen wir in den heiligen Ausstellungstempeln voller Andacht huldigen? Und braucht es nicht gerade solche Formen der Widerspenstigkeit, um sich zum Beispiel gegen das ökonomische Regime eines immer verrückter agierenden Kunstmarkts zu stellen?
Die Kunst von Karin Kopka-Musch und Johanna Schwarz hat etwas erfrischend Grenzüberschreitendes, dabei Leichtfüßiges, Spielerisches und ebenso Humorvolles. Statt ihre Malerei und Bildhauerei mit Bedeutung zu befrachten, geht es den beiden Künstlerinnen vielleicht eher darum, zu einem beherzten „Diskurs über die Kunst selbst“ vorzudringen. In der Arbeit der beiden finden wir einen Typus des künstlerischen Handelns, für den es immer schon elementar darum ging, sich offenen Prozessen zu stellen, innovativ, kreativ und originell zu sein und sich nicht an Regeln und Traditionen zu halten, sondern sie zu überwinden und Neues zu wagen. Auch auf die permanente Gefahr und das unkalkulierbare Risiko hin, mit den eigenen künstlerischen Ansprüchen gegebenenfalls zu scheitern. Aber das gibt es eigentlich in der Welt Kopka-Musch/Schwarz nicht. Alles ist Ausdruck einer entgrenzten Lebendigkeit des Daseins und der Kunst.
In dem von den beiden Künstlerinnen formulierten kurzen Einleitungstext zur Ausstellung heißt es so unter anderem auch „Es knirscht, es hakt, es inspiriert“. Dem kann ich nur voll zustimmen.